Update, April 2020:
Durch die aktuelle Coronapandemie sind Millionen von Menschen vorübergehend in ihrer Arbeit eingeschränkt bzw. arbeitslos geworden und müssen sich tagtäglich mit den psychischen und manchmal auch physischen Folgen fehlender Arbeit auseinander setzen. Dadurch hat mein Film eine ungeahnte Aktualität bekommen…
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Seit vielen Jahren bin ich freiberuflich als Filmemacherin tätig. Das ist ein von mir bewusst gewähltes Lebensmodell und ich war bislang nur ein einziges Mal für wenige Monate fest angestellt. Schnell erkannte ich dabei, dass diese Lebensform nicht zu mir passt, und habe das Arbeitsverhältnis beendet.
In meinem Freundeskreis gibt es fast nur Selbständige. Die (fast) einzige angestellte Freundin wurde vor ein paar Jahren aus ihrem langjährigen Job gemobbt und geriet dadurch in Arbeitslosigkeit. Dies machte ihr große Angst. Sie setzte alles daran, wieder in Arbeit zu kommen, doch es blieb über lange Zeit aussichtslos. Sie hatte viele Vorstellungsgespräche und Weiterbildungen, doch nichts führte zu einer Festanstellung. In dieser Zeit wurde sie immer ängstlicher, erkrankte häufig und ihr (ohnehin) angeschlagenes Selbstbewusstsein verschlechterte sich von Monat zu Monat. Gerne wollte ich ihr helfen, nur wie?
Zu dieser Zeit fand ich einen kurzen Artikel über das Programm ‚Prima Mallorca‘ in einer Zeitung. Ich fand das Projekt sofort spannend, wollte mehr darüber erfahren und begann zu recherchieren. Schließlich entschied ich, einen Dokumentarfilm über das Projekt zu drehen. Nachdem ich diverse Drehgenehmigungen eingeholt hatte ging es rasch los. Auf einmal war ich mittendrin, mit den Teilnehmern auf Mallorca. Mit Langzeitarbeitslosen zu drehen birgt viele und spezielle Herausforderungen. So habe ich mich oft mehr als Sozialarbeiterin denn als Filmemacherin gefühlt und ohne viel, viel Geduld wären wir mit unseren Dreharbeiten nicht weit gekommen.
Für mich waren die Dreharbeiten und die persönliche Auseinandersetzung mit meinen Protagonisten eine sehr spannende Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Ich bewundere die Offenheit und Klarheit, mit der diese über ihr schweres Leben sprachen. Ich empfinde große Dankbarkeit dafür, dass sie mir aus ihrem Leben erzählt und mir ihr Herz geöffnet haben.
Viele Fragen, die ich mir vorab auf einer theoretischen Ebene gestellt habe, wurden in der Praxis der Dreharbeiten beantwortet: Was macht Langzeitarbeitslosigkeit mit den Menschen? Mit ihrem Selbstbewusstsein? Wie nutzen die Betroffenen die viele Zeit, die sie haben, weil sie nicht arbeiten? Fühlen sie sich von der Gesellschaft, in der sie leben, akzeptiert oder ausgegrenzt? Wird man krank ohne Arbeit? Inwieweit definiert sich der Mensch über die Arbeit, die er macht oder eben nicht macht?
Arbeit und die Auseinandersetzung mit Arbeit sind allgegenwärtig in unserer Gesellschaft. Menschen ohne Arbeit sind es nicht, denn häufig ziehen sich die Betroffenen zurück – aus verschiedenen Gründen. Sie wollen nicht im Rampenlicht stehen, es ist ihnen unangenehm. Sie empfinden es als Stigma, Hartz-IV- Empfänger zu sein.
Kein Wunder, denn die drei beliebtesten Fragen bei diversen gesellschaftlichen Anlässen, zum Beispiel auf einer Party, lauten: Wie heißt Du? Was machst Du? Und wie alt bist Du? Verständlich, wenn man es irgendwann leid ist, diese Fragen zu beantworten, weil man sich dabei jedes Mal ohnmächtig fühlt.
Das Projekt ‚Prima Mallorca‘ will genau diese langjährigen Hartz-IV-Empfänger aus ihrer Abwärtsspirale heraus holen und ihnen ein Sprungbrett in ein anderes Leben bieten, in dem sie ein aktiverer Teil der Gesellschaft werden können. Daher ist es auch so wichtig, einen Tapetenwechsel zu vollziehen und die Teilnehmer in einen ganz anderen Kontext zu bringen: Raus aus Mecklenburg-Vorpommern, wo sie jeden Abend mit denselben Kumpels ein Bier zischen, raus aus der Familie und den endlos langen Tagen vor dem Fernseher, rein in die neue Routine eines täglich stattfindenden Praktikums fern von zu Hause.
Das Projekt ‚Prima Mallorca‘ gibt jedem Teilnehmer durch die Abwesenheit der heimischen Routine und durch den ganz neu strukturierten Alltag auf Mallorca eine Chance, eine einzigartige Chance. Der Film ‚Prima Mallorca‘ begleitet die Teilnehmer auf dieser Reise, die deren Leben verändern kann.
Wichtig war uns auch der Nachdreh, der bis zu drei Jahre nach dem Praktikumsaufenthalt stattgefunden hat und der zeigt, inwieweit das Projekt dazu beitragen konnte, das Leben der Protagonisten langfristig zu verändern – oder eben auch nicht zu verändern.
Ein Film von Nana Rebhan
Nana Rebhan studierte an der FU Berlin Film-, Fernseh- und Theaterwissenschaft und an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB).
Ihr Film “Welcome Goodbye” (2014) – eine Dokumentation über Tourismus und Gentrifizierung in Berlin lief in etlichen Kinos und ist auf DVD erschienen. (www.welcomegoodbye.de) Auch auf diversen Universitätsveranstaltungen und Paneldiskussionen zum Thema Gentrifizierung und Tourismus war die Regisseurin mit ihrem Film eingeladen, ebenfalls zur Kunstbiennale in koreanischen Jeju.
Rebhans Debutfilm “Berlin: Hasenheide” (2010) lief viele Monate erfolgreich im Kino „Moviemento“ und anderen Berliner Kinos. (www.hasenheidefilm.de). Der Film ist ebenfalls auf DVD erschienen, aber mittlerweile leider vergriffen.
Beide Filme sind im Stream bei dem Berliner Label Realeyz zu finden: https://realeyz.de/
Für den aktuellen Film ‚Prima Mallorca‘ ließ sich Nana Rebhan viel Zeit, denn es war ihr ein Anliegen, herauszufinden, was aus ihren Protagonisten geworden ist. Für den Epilog des Films drehte sie bis zu drei Jahre nach dem Hauptdreh noch einmal, in Mecklenburg-Vorpommern und auf Mallorca.
Ihr nächstes Projekt wird ‚Made in Cambodia‘ sein, ein Portrait eines deutschen Auswanderers nach Kambodscha, der sich in der Fremde völlig neu erfindet.